Was sagt man einem Generalvikar zu seinem Priesterjubiläum? Beim Nachdenken darüber kam mir die halb spaßhaft, halb ernst gemeinte Bemerkung eines Bekannten bei meiner eigenen Amtseinführung vor bald zwölf Jahren in den Sinn: „Du hast jetzt einen krisensicheren Job. Selbst wenn sich demnächst herausstellen sollte, dass Jesus nie gelebt hätte, gäbe es in zweihundert Jahren immer noch Kirchenverwaltungen und Bischöfliche Ordinariate.“ So recht konnte ich damals darüber nicht lachen. Denn dahinter steckt doch der Vorwurf, es gelinge der Kirche und ihrem Amt heute vielfach nicht mehr, die ursprüngliche Botschaft Jesu transparent zu machen, die Institution sei vielmehr weitgehend zum Selbstzweck geworden. Ihr gehe es mehr ums Verwalten als ums Gestalten, mehr ums Belehren als ums Bekehren, mehr ums Bewahren als um echtes Bewähren. Oft macht sich diese Kritik auch an uns Priestern fest – und da ist das Weihejubiläum eines Generalvikars eine spezielle Herausforderung, all dem nachzuspüren und dabei vielleicht Maßstäbe für unser Leben als Christen und dem Dienst des Priesters neu zu entdecken.
Verwalten statt gestalten?
Oft wird der Vorwurf erhoben, Jesus sei es um Gemeinschaft als lebendigen Organismus gegangen, die Kirche wurde in ihrer Geschichte – zumal bei uns in Deutschland – mehr und mehr zu einer leblosen Organisation. Ich stelle mir oft die Frage: Gelingt es uns die kirchlichen Strukturen immer wieder auf Jesus hin transparent zu machen? In der Lesung des heutigen Sonntags aus dem ersten Korintherbrief steht ein interessanter Satz: „Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnissen Gottes.“ Es kommt ganz darauf an, wie man diesen Verwalterdienst in der Kirche versteht. Im biblischen Sinn ist ein Verwalter das genaue Gegenteil eines bürokratischen Herrschers. Er ist vielmehr ein Mensch, der weiß, dass ihm das anvertraute Gut nicht selbst gehört, sondern dass er im Auftrag Jesu für andere treuhänderisch tätig ist, damit ihnen Gottes Zuwendung auf vielfache Weise zugute kommt. Hier liegt eine der entscheidenden Wurzeln für den priesterlichen Dienst, egal, in welcher Form er ausgeübt wird: Verwalter der Geheimnisse Gottes sein – das setzt die Bereitschaft vor aus, sich im ganz alltäglichen Leben mit seiner Routine und seinen Zwängen immer wieder neu für diesen Gott offen zu halten, der uns über menschliche Begrenztheiten hinausführen will. Dieser Maßstab einer letzten Leidenschaft für Gott darf bei Christen und speziell bei uns Priestern nicht verloren gehen, sonst werden alle Aktivitäten in der Tat leicht zur bloßen Betriebsamkeit. Ein Grundzug im Handeln Jesu war doch, dass er sich nicht einfach auf alle möglichen Anforderungen einließ, sondern auf solche Situationen, in denen Gemeinschaft aufleuchten sollte, in denen er durch sein Wort und sein Wirken Gott den Menschen näher brachte und dadurch die Menschen miteinander in Verbindung hielt. „Jesus hat Gemeinschaft hergestellt“ - das soll auch das Merkmal des priesterlichen Dienstes sein. Dann nämlich ist unsere Verwaltertätigkeit nicht leblos und schon gar nicht lieblos, sondern lässt in aller Bruchstückhaftigkeit etwas vom Geheimnis der Größe Gottes erahnen, der immer wieder schwache und vor-läufige Menschen zu Vor-Läufern auf das Endgültige macht – nämlich für eine Gemeinschaft, die auch durch menschliches Versagen nicht zerstört werden kann. Mein erster Jubiläumswunsch ist deshalb: Bleib' gerade in deiner speziellen Verwaltertätigkeit als Generalvikar ein Priester, der in allen konkreten Anforderungen von der Leidenschaft für Gott geprägt und getragen ist!
Belehren statt Bekehren?
Die Kritik an der Kirche, speziell auch an ihren Bischöfen und an uns Priestern geht auch oft dahin, dass Jesu befreiende Botschaft von Versöhnung und Umkehr in ein System starrer Lehrsätze gepresst worden sei, von denen keine Impulse mehr für das Leben ausgingen. Man könnte zwar einwenden: Verbindliche Lehraussagen wollen ja gerade die Verbindung zwischen dem Glauben des Ursprungs, seiner Weiterentwicklung in der Geschichte und seiner Übersetzung in die Gegenwart sichern. Aber damit der Funke überspringt, braucht es glaubhafte Zeugen. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil vor allem den Verkündigungsdienst als grundlegenden Auftrag des Priesters hervorhebt (vgl. PO 4), dann beschränkt sich das nicht auf die Predigt allein: „Verkündigung“ ist vielmehr eine umfassende Haltung, die von der Absicht getragen ist, dass in allen Einzelaktivitäten Jesus Christus zur Geltung kommen soll. Fridolin Keck hat sich bei seiner Weihe vor 40 Jahren als Primizspruch den Satz aus dem zweiten Korintherbrief gewählt: „Nicht uns selbst verkündigen wir, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesus willen“
(2 Kor 4,5). Ich meine, dass dieses Wort auch der bleibende Maßstab für Deine unterschiedlichsten Tätigkeiten war: ob als Vikar oder Präfekt, dann als Studentenseelsorger und Pfarrer, als Theologiedozent und jetzt in der Bistumsleitung. Du hast dabei gerade in Deiner Art des Zugehens auf die Menschen deutlich gemacht, dass das priesterliche Amt nicht die „Endstation“ kirchlicher Aktivitäten darstellt, sondern stets im Dienst der weiterführenden Begegnung mit Jesus Christus steht, der uns alle immer wieder neu zur Umkehr ruft. Wenn dieser Maßstab immer bewusst bleibt, muss uns auch nicht dauernd die Angst umtreiben, dass der Priesterberuf an Ansehen verliert. Gewiss, der Amtsbonus mag heute geringer sein als früher – aber das eigentliche Ansehen besteht für uns als Priester doch darin, dass wir den Menschen helfen, Gott anzusehen, der in Jesus Christus unser Leben teilt. Ihn sollen wir immer wieder neu in den Blick bekommen. Deshalb geht mein zweiter Jubiläumswunsch dahin, dass Dein Dienst auch künftig davon geprägt ist, vom Blickkontakt mit Jesus her auf Augenhöhe mit den Menschen zu bleiben und ihnen so Mut zum Glauben zu machen.
Bewahren statt bewähren?
Der letzte Vorwurf wird oft so zugespitzt: In Jesus konnte sich Gottes Liebe bewähren – die Kirche will heute vor allem ihren Einfluss bewahren. Zugegeben, dass man speziell als Generalvikar mitunter der Situation ist, kirchliche Rechte verteidigen zu müssen – aber das darf nie zum Selbstzweck werden oder gar vom Motiv des bloßen Machterhalts getragen sein. Vielleicht kann uns wieder ein Satz aus den heutigen Sonntagstexten weiterhelfen. Im Evangelium heißt es: „Euch muss es zuerst um Gottes Reich und seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazu gegeben“ (Mt 6,34). Hier werden Prioritäten gesetzt, die gerade für uns als Priester unverzichtbar sind. Mir ist im Lauf der Jahre eine Einsicht wichtig geworden, die ich so formulieren möchte: Die konkrete Kirche ernst nehmen, aber sie auf das Reich Gottes hin offenhalten! Ich habe manchmal den Eindruck, dass es bei uns in Debatten über Pastoralpläne und Pfarreistrukturen engagierter und hitziger zugeht, als in Gesprächen über Grundfragen des Glaubens. Nichts gegen berechtigte Organisationsformen – wir brauchen sie, weil wir auch als Christen nicht außerhalb unserer Gesellschaft mit ihren vielschichtiger gewordenen Strukturen leben. Aber all diese berechtigten Überlegungen dürfen nicht dahin führen, dass Seelsorgsmittel zur Seelsorgsmitte werden. Die bleibende Frage in all den Veränderungen heißt doch: Wie können wir den Kern der christlichen Botschaft neu bezeugen, dass es gut und befreiend ist, sein Leben auf Gott zu gründen und diese Erfahrung weiter zu geben? Wenn unsere konkreten kirchlichen Aktivitäten nicht mehr in diesem größeren Horizont stehen, dann verflachen sie und werden letztlich ortlos. Vielleicht haben gerade wir Priester die Kirche zu lange als unsere eigene Unternehmung betrachtet und dabei vergessen: Kirche lässt sich nicht machen – ich kann immer nur mitmachen bei der Initiative Gottes, dem wir so wichtig sind, dass er in Jesus unser Leben teilt. Christliches Zeugnis und priesterlicher Dienst können im Letzten in allen Einzelformen immer nur Mit-teilung dieser Erfahrung sein. Es hat mich sehr bewegt, lieber Fridolin, als Du mir kürzlich erzählt hast, dass Dein Interesse für die Weltkirche in Form von Erlernen neuer Sprachen über Begegnungen in Osteuropa und Lateinamerika bis hin zur Auseinandersetzung mit neuen heologischen Fragestellungen von der Motivation geprägt war, in all dem Gottes Wirken auf die Spur zu kommen und das eigene Tun in einen größeren Glaubenszusammenhang einzufügen. Dies gilt nicht zuletzt auch für Deine ökumenischen Kontakte. So ist mein dritter Wunsch zu Deinem Jubiläum, dass Du als Priester weiterhin im Dienst dieser Horizonterweiterung stehst, welche die Kirche ernst nimmt, aber sie stets auf das Reich Gottes hin offen hält, das weiter reicht und größer ist als alles menschlich Mögliche. So hilfst du mit, dass der Glaube nicht nur bewahrt wird, sondern sich immer neu in Leben bewährt.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
In diesen Tagen habe ich öfters daran denken müssen, dass ich ziemlich genau vor 25 Jahren in die Verantwortung für die Priesterausbildung in unserem Bistum gerufen wurde. Ein Freund schrieb mir damals: „Ich bete für dich, dass du den jungen Menschen im Seminar helfen kannst, geistliche Menschen und menschliche Geistliche zu werden“. Ich meine, dass sich in diesem Satz auch die Ermutigung ausdrücken lässt, den ich Dir, lieber Fridolin, im Namen von Vielen mitgeben möchte:
Danke, dass du auch als Generalvikar ein geistlicher Mensch und ein menschlicher Geistlicher geblieben bist. Gott gebe Dir die Kraft, es auch in Zukunft zu sein.
Amen