Ehrwürdige Schwestern!
Uns ist der Heilige Geist zugesagt – von unserem Erlöser selber. Und er ist der erste, der für uns betet beim Vater, wenn es um eine wichtige Entscheidung geht. Das ist die Zusage des Evangeliums, das wir eben vernommen haben. Denn gerade ein kirchliches Amt oder die Leitungsaufgabe in einer kirchlichen Gemeinschaft braucht die Hilfe des Heiligen Geistes. Die Leitungsaufgaben in einer klösterlichen Gemeinschaft sind schon immer – und erst recht heute – rein menschlich gesehen für die einzelne Generaloberin und ihre Mitarbeiterinnen eine große Herausforderung; denn die Erwartungen und die Aufgaben solcher Leitungsaufgaben sind ja vielfältig. Ich möchte bei diesen Predigtgedanken an drei Bereiche erinnern, für die eine Generaloberin Sorge tragen muss:
Eine klösterliche Gemeinschaft, besonders Ihrer Größenordnung, muss in unserer Zeit stehen mit all den Verpflichtungen und Verknüpfungen mit der Gesellschaft, mit den Aufgaben unserer Zeit, mit den heutigen Gegebenheiten. Dafür muss eine Generaloberin Verständnis haben.
Eine Generaloberin muss die Gemeinschaft der Mitschwestern und das Wohl der einzelnen Schwester im Auge, im Herzen haben.
Eine Generaloberin muss das geistliche Leben, die geistlichen Ziele der Ordensgemeinschaft, das Mitleben mit der Kirche und durch die Kirche, die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott stärken und fördern.
Lassen Sie mich einige Gedanken zu diesen drei Punkten sagen:
Die Leitung einer Ordensgemeinschaft braucht den Heiligen Geist, um ihr Leben in der Welt, die Beziehung zur Schöpfung, die Beziehung zu staatlichen und gesellschaftlichen Instanzen geistvoll zu gestalten. Eine klösterliche Gemeinschaft, wie eben auch die Kirche, lebt in der jeweiligen Zeit und Lebenssituation der Menschen in der Welt. Jesus ist in diese Welt mit all ihren Wunden und Verwundungen hineingegangen. Und er hat seine Jünger nicht aus dieser Welt genommen, sondern befohlen: „Geht in alle Welt – bis an die Grenzen der Erde.“ Wir müssen unser Christsein und unsere Christusnachfolge unter den Bedingungen leben, wie sie nun mal sind. Wir dürfen nicht aus der Welt fliehen. Wir müssen vielmehr Sauerteig, Salz und Licht für diese Welt sein. Wir müssen in der Welt leben, aber nicht nach der Art dieser Welt leben. Der Heilige Geist hat die Schöpfung und das menschliche Dasein hervorgebracht. Und nicht alles in der Welt ist eben vom Bösen. Gerade die Bewahrung der Schöpfung, die Beachtung der menschlichen Lebenswirklichkeit und die Beachtung der Lebensgesetze für das eigene Leben sind für uns bleibende Aufgaben. Auch unsere sozial tätigen Ordengemeinschaften sehen sich in die vielfältigen Beziehungen zum Staat, zur Gesellschaft hineingenommen. Hier das Gute erkennen und pflegen, auch das Wirken des Heiligen Geistes im Fortschritt des menschlichen Geistes und der vielfältigen modernen Gegebenheiten zu schätzen und zu achten, ist Aufgabe einer klösterlichen Gemeinschaft. Das hat Jesus so gemacht, die Apostel, die Kirche. Darum muss eine Ordensleitung auch in der Beziehung zur Welt positiv eingestellt sein. Dass das nicht immer leicht ist, bei den besonderen Charakteren einer klösterlichen Gemeinschaft, liegt auf der Hand. Deswegen brauchen wir den Heiligen Geist für die Ordensleitung.
Eine Generaloberin (und ihre besonderen Mitarbeiterinnen im Orden) müssen mitmenschliches Einfühlungsvermögen haben. Eine Ordensgemeinschaft besteht eben – bei aller Einheit im Geistlichen – doch aus Menschen, hier aus Frauen, mit ihrem jeweils einzigartigen Persönlichkeitsprofil, wie man heute sagt. Eine Ordensgemeinschaft besteht bei aller Einheit immer aus Einzelpersönlichkeiten, aus Menschen, Frauen, mit ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte, Berufungsgeschichte, mit ihrer Individualität und ihrer Eigenart. Natürlich - wird man sagen – das ist doch eine Binsenwahrheit. Ja, aber dann muss man auch akzeptieren, dass es geradezu scharfe Gegensätze in der Persönlichkeitsstruktur auszuhalten, zu führen gilt und sie dennoch in einem gemeinsamen Ziel zusammenhalten. Mit diesen Schwierigkeiten haben es auch Mütter mit vielen Kindern zu tun, die alle auch keine Abziehbildchen eines Typen sind. Die mütterliche Führungsweisheit muss daher auch die Generaloberin und ihre Mitarbeiterinnen auszeichnen, wenn sie ihren Mitschwestern gerecht werden wollen und einen familiären Zusammenhalt sichern wollen. Wenn das so einfach wäre – eben dazu braucht es den Heiligen Geist, der es ja ermöglicht, dass wir bei allen unseren Gegensätzen doch eine Familie sein können. Jesus hatte auch in seiner Apostelgemeinschaft mit gegensätzlichen Menschentypen zu tun. Er hat sie zusammengehalten und sie zum Fundament seiner Kirche gemacht. Eine Generaloberin hat hier menschlich gesehen eine spannungsreiche Aufgabe. Unser Gebet kann ihr helfen, ihre Aufgabe im Sinne Jesu zu erfüllen.
Schließlich: Eine Ordensgemeinschaft ist mehr als nur ein Arbeitsteam oder eine menschliche familiäre Weggemeinschaft. Letztlich ist das Gemeinsame nicht die jeweilige weltliche Aufgabe oder der Versuch, gute Lebens- und Weggemeinschaft zu pflegen. Vielmehr: Das Grundlegende und Tiefstverbindende dieser Gemeinschaft ist Gott, ist der Erlöser, ist Jesus Christus. Diese letzte und tiefste Gemeinschaft im Geiste Jesu macht das Eigentliche einer Ordensgemeinschaft aus. Gott, Christus, muss im Mittelpunkt stehen. „Dem Gotteslob darf nichts vorgezogen werden“ – von dieser wichtigen Gewichtung spricht schon der Vater des Ordenslebens, der heilige Benedikt. Das geistliche Leben einer Gemeinschaft zu bekräftigen, anzuregen, sicherzustellen – das ist die Hauptaufgabe einer Ordensleitung. So leben wir auch das Lebensgesetz der Kirche. Eine Kirche, die nicht mit Christus lebt und nicht aus Gott lebt, hat eigentlich keinen Eigenwert anzubieten. Ein besseres Rotkreuz brauchen wir nicht zu sein. Viele Menschen mühen sich heute in vielen sozialen und karitativen Einrichtungen für ihre Mitmenschen. Aber dieses mit der Gottesliebe in Einheit zu sehen, ist das Proprium einer sozial ausgerichteten Ordensgemeinschaft. Darum braucht es diese Ordensgemeinschaft, damit bestmöglich und umfassend den Menschen geholfen werden kann. Ohne Gott aber und ohne Christus bleibt der Mensch zutiefst krank oder doch nicht so gesund und lebensfähig, wie er es sein könnte. Eine Generaloberin muss daher die Vorbeterin einer Ordensgemeinschaft sein, ein christusbezogenes Leben führen. Beten wir um den Heiligen Geist.
Amen.
(3307/1153)