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Glaubwürdigkeit wichtiger als Rechtgläubigkeit

Bericht von Karl-Peter Büttner, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Würzburg, bei der Frühjahrsvollversammlung des Diözesanrats am Freitag, 26. März 2010, im Sankt Burkardus-Haus in Würzburg

Vor kurzem las ich in einem Zeitschriftenartikel, die katholische Kirche in Deutschland befände sich in der größten Krise seit mehr als 50 Jahren. Dem kann ich nur zustimmen: das Vertrauen in die Kirche und ihre Glaubwürdigkeit sind in einem noch nicht abschätzbaren Maß erschüttert – und das in einer Zeit, in der die christliche Botschaft von Nächstenliebe und Gerechtigkeit, Individualität und Solidarität, Frieden und Freiheit, Verantwortung für die Schöpfung und für den Menschen in allen Phasen seines Lebens in unserem persönlichen Umfeld, in unserer Gesellschaft und in der globalen Welt nötiger denn je gebraucht wird und glaubwürdig bezeugt werden muss.

In den letzten Wochen und Monaten überschlugen sich ja die Informationen, Reaktionen, Stellungnahmen und Kommentare zum Thema „Sexueller Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen“. Lange überlegte ich, ob eigentlich nicht schon alles oder sogar noch mehr als alles gesagt ist angesichts der Tatsache, dass das Geschehene einem die Sprache verschlägt. Aber ich kam zu der Überzeugung, in meinem Bericht zumindest einige Punkte zur Sprache bringen zu müssen.

1. Dankbar bin ich unserem Bischof und unserem Generalvikar für ihre klaren unmissverständlichen Stellungnahmen, in denen der Sorge und Hilfe für die Opfer und ihre Familien erste Priorität eingeräumt, jeder Relativierung und Vertuschung eine Absage erteilt, das verbrecherische Tun der Täter klar benannt und die offene Zusammenarbeit mit der Justiz bestätigt wird. Ich möchte nur die allerersten Sätze von Bischof Friedhelm im Interview mit der MAIN-POST zitieren: „Es ist sehr belastend und beschämt uns, denn die Kirche ist eine Institution in der Gesellschaft, die für Recht und Wahrheit steht. Nach solchen Verbrechen sind wir erschüttert, gerade mit Blick auf die Opfer, auf Menschen die als Kinder und Jugendliche betroffen waren und unter Umständen Schaden fürs ganze Leben nehmen. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

2. Schlimm ist es, und belastet uns alle, die wir in dieser Kirche und mit dieser Kirche leben und leiden, dass die gegenwärtige Vertrauenskrise „hausgemacht“ ist. Die allermeisten Täter sind Männer, die durch Weihe und Profess zu einem besonderen Dienst herausgehoben, den Kindern und Jugendlichen wegen ihrer vermeintlich innigen Beziehung zu Gott als besonders vertrauenswürdig galten. Umso tiefer und schmerzlicher müssen für die Opfer die durch die Täter zugefügten Wunden sein. Es gilt auch hier: je mehr sich ein Mensch erhöht oder erhöht wird, desto tiefer ist der Fall bei seinem Versagen. Das muss eine Anfrage an das gängige Priesterbild sein, wenn sogar der Papst in seinem Hirtenbrief als einen Faktor unter mehreren ausmacht: „eine Tendenz in der Gesellschaft, den Klerus und andere Autoritäten zu favorisieren“. Und in der Ausgabe von „Christ in der Gegenwart“ vom 14. März schreibt der Kommentator richtig: „Die lawinenartigen Enthüllungen über sexuellen Missbrauch in katholischen Schulen erschüttern das Selbstverständnis der Kirche. Es hilft nicht, darauf zu verweisen, dass auch Christen Sünder sind, dass die Kirche jedoch – im Credo – „heilig“ sei. Die Kirche ist nicht nur unsichtbar, virtuell, jenseitig, sondern sichtbar, leibhaftig, in der Welt. Wir alle sind Kirche. Am Verhalten der Amtspersonen misst sich die Glaubwürdigkeit am meisten. Was da an Abgründen ans Licht kam, ist entsetzlich.“

Andererseits stelle ich aber unmissverständlich fest: Es ist unverantwortlich, skandalös und Menschen verachtend, unsere Priester, Ordensleute und in der Erziehung und Jugendarbeit Tätigen unter einen Generalverdacht zu stellen. Nein, wir sind unseren unzähligen motivierten, pflichtbewussten und vorbildlichen Priestern, Ordensleuten und auch Laien dankbar für ihren Dienst an der Jugend und für das gegenseitige Vertrauen. Wir sollten die Sorge des Jugendbischofs Franz-Josef Bode teilen, der in seinem Brief an die Gemeinden schrieb: „Ich bin auch sehr besorgt, dass sich ein Raureif an Kälte über unsere Seelsorge mit Kindern und Jugendlichen legen könnte, der ihnen und uns die Freude an unserem Dienst nimmt.“

3. Damit es nicht zu dieser Kälte kommt, dass Vertrauen wieder aufgebaut oder gestärkt werden kann, ist nicht nur lückenlose Aufklärung nötig, sondern es sind noch weitere Konsequenzen zu ziehen. Eines vorweg: Ich halte es für unangemessen, verletzend und kontraproduktiv, einen Zusammenhang von sexuellem Missbrauch und Zölibat herstellen zu wollen. Eine solche Argumentation ist beleidigend und herabwürdigend für alle, die den Zölibat überzeugend leben und auch für Eheleute und ihr Sexualleben. Allerdings nehme ich auch nichts zurück von dem, was ich in der Herbstvollversammlung sagte. Die dankbaren Reaktionen vieler Katholiken – Laien wie Kleriker – bestärken mich in meiner Auffassung: Die Weltkirche und ihre Ortskirchen müssen offen und ehrlich die Diskussion über die absolute Verknüpfung von Ehelosigkeit und Zulassung zum Priestertum angehen.

Zu den Forderungen bezüglich der Zulassung und Ausbildung künftiger Priester möchte ich ein paar Sätze aus einem mehrseitigen Text von Dr. Wunibald Müller in der Herder Korrespondenz 64 zitieren:

„Um angemessen einschätzen zu können, ob der Priester über die menschliche Reife verfügt, die notwendig ist, um als Seelsorger tätig sein und verantwortlich mit seiner Sexualität umgehen zu können, genügt ein oberflächlicher Kontakt nicht. Es setzt voraus, dass die Verantwortlichen den Priester wirklich kennen. Ein sorgfältiger Ausleseprozess bei den Kandidaten für das Priesteramt, der die Einbeziehung von psychologischen Fachleuten und gegebenenfalls auch Tests erfordert, ist ein Muss. Weiter ist es wichtig, den ganzen Bereich der Sexualität nicht zu tabuisieren, sondern bei der Ausbildung ganz selbstverständlich zu berücksichtigen.“ Mit Wunibald Müller heben auch andere Psychologen und Verantwortliche für die Priesterausbildung als einen wichtigen Faktor die psycho-sexuelle Reife der Kandidaten hervor, da authentisch gelebte Ehelosigkeit auf keinen Fall Beziehungslosigkeit bedeuten darf. Das ist nach Aussage von Wunibald Müller in den letzten Jahren in den Priesterseminaren auch schon bei der Auswahl und der Ausbildung der Priesteramtskandidaten berücksichtigt worden.“

4. Traurig und teilweise zornig machen mich einerseits unmögliche Äußerungen von einigen kirchlichen Würdenträgern und andererseits wie undifferenziert bestimmte Kreise unserer Gesellschaft und die dazu passende Publizistik mit dem Thema „Sexueller Missbrauch“ umgehen. Ihre Art der Darstellung ist ein Missbrauch des Missbrauchs und eine zusätzliche Demütigung der Opfer. Da werden sexueller Missbrauch und sicherlich nicht zu tolerierende Gewalt als erzieherisches Mittel in einen Topf geworfen, eifrig durchgerührt und dann als unappetitlicher Einheitsbrei serviert. Zur Beurteilung eines solchen Vorgehens mache ich mir nochmal einige Sätze aus „Christ in der Gegenwart“ zu eigen:

„Fast alle jetzt bekannt gewordenen Fälle liegen Jahrzehnte zurück. Damals hat die Gesellschaft allgemein die psychosozialen Folgen für die Opfer unterschätzt. Auch die weltlichen Institutionen handelten wie die Kirche: schweigen und versetzen. Die staatlichen Schulleitungen und Schulaufsichtsbehörden ducken sich nun jedoch weg und sind froh, dass es bevorzugt die Kirche trifft. Die Medien haben in die Heuchelei kräftig eingestimmt. Es fällt eben leichter, jene, die die Dinge bekanntmachen, an den Pranger zu stellen, als Fälle aufzuklären, die aktuell geschehen. Das sind vierzig angezeigte Taten pro Tag, zwischen 14.000 und 15.000 im Jahr. Vieles spielt sich in der Verwandtschaft ab, anderes in pädagogischen Einrichtungen, Vereinen. Das bittere Thema muss aber offenbar dazu herhalten, Abneigung gegen die Kirche zu schüren. Sogar die Bundesjustizministerin spielte sich damit auf und stellte wider besseres Wissen Behauptungen in den Raum, die Kirche wolle nicht hinreichend aufklären. Wir aber fragen: Wer vertuscht da was? Wo ist die Verlogenheit am größten?“

Ich äußere diesen Hinweis, dass es sich hier um ein gesellschaftliches Phänomen handelt, nicht, um die schweren Sünden der Kirche zu relativieren, sondern um uns Katholiken sensibel zu machen für Stimmungen gegen uns. Dagegen sollten wir entschlossen und mutig aufzutreten, immer in dem Bewusstsein: „Was unter den Teppich gekehrt wird, das fault und stinkt und schadet. Das gab es viel zu lange. Was angeschaut, aufgearbeitet und bereut wird, das kann heilen. Das ist jetzt notwendig.“ So formulierte es Erzbischof Werner Thissen in seiner Predigt im ZDF-Fernsehgottesdienst am Sonntag Laetare.

Und an die Verantwortungsträger in Rom und sonstwo sollten für die Zukunft den guten Rat bedenken: Wichtiger als die Rechtgläubigkeit ist die Glaubwürdigkeit!

Noch viel gäbe es zu diesem aufwühlenden Thema zu sagen. Ich will es dabei belassen, um auch einige andere Themen zumindest erwähnen zu können.

1. Der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Würzburg begrüßt ausdrücklich das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 09.02.2010, wonach die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den durch die Verfassung vorgegebenen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllen. Dies wollten wir auch schon mit dem entsprechenden Beschluss der Herbstvollversammlung 2009 und mit unserem Engagement gegen Kinderarmut deutlich machen. Unangemessen und geradezu verwerflich finde ich es, wie der FDP-Vorsitzende Westerwelle aus populistischen Gründen Hartz IV-Empfänger pauschal attackiert und diffamiert in der Hoffnung, damit seine Partei aus einem Umfragetief heraus zu holen. Dies könnte übrigens auch ein Motiv für die wiederholten, unnötigen Äußerungen der Frau Leutheusser-Schnarrenberger zum sexuellen Missbrauch und ihrer anhaltenden Kirchenkritik sein.

2. Ebenso begrüßenswert fiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Schutz des Sonntags und gegen die Sonntagsarbeit im Dezember 2009 aus. Unsere Aufgabe als katholische Laien ist es, für den Sonntagsschutz und gegen die Kommerzialisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche entschieden einzutreten. Dazu ist jeder in seinem Umfeld, in seiner Kommune aufgerufen.

3. Zur Wirtschaftskrise, ihre Folgen und die erforderlichen Konsequenzen daraus habe ich im Herbst auf der Grundlage der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ eingehend Stellung genommen. Leider gewinnt man den Eindruck, dass manche Banken und andere Globalplayer keineswegs die erforderlichen Lehren aus der Krise gezogen haben, sondern schon wieder eingeschwenkt sind auf den verhängnisvollen Weg, der als Ziele nur Profit, Boni und Gewinnmaximierung kennt – ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl und die Sorge um die Menschen. Deshalb wiederhole ich meinen Appell an die politisch Verantwortlichen in unserem Land: „Die Politik muss geprägt sein vom Streben nach sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Die Bundesregierung sollte sich auf die ethischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft besinnen, für die die katholische Soziallehre eine klare Orientierung bietet. Weltweit hat sich unsere Regierung für einen verbindlichen Ordnungsrahmen der Finanzwirtschaft einzusetzen, der verantwortungslosem Profitstreben einen Riegel vorschiebt – das gebietet schon die Solidarität mit den Armen auf dieser Erde.“

4. Eine kleine Rückschau auf die Vollversammlungen der zu Ende gehenden Wahlperiode und ihre Themen im Studienteil führt uns vor Augen, dass wir sowohl über Glauben und Kirche in unserer Zeit nachdachten, uns Anregungen und Impulse holten und sie weiter gaben als auch das Apostolat der Laien in unserer Gesellschaft mit ihren vielfältigen Problemen ernst nahmen. Unsere Themen waren:

FVV 2007: „Sei, was Du bist: Berufung erkennen – Berufung leben“;

HVV 2007: „Benachteiligte Jugendliche gerecht beteiligen! – Antwort auf eine neue soziale Frage“;

FVV 2008: „Die weltkirchliche Verantwortung der Diözese Würzburg – heute und morgen“;

HVV 2008: Anpassung der PGR-Satzung – Arbeitshilfe „Kinderarmut“ - Klimaschutz in der Diözese Würzburg;

FVV 2009: „Weltproblem Klimawandel – Was wissen wir? Was sollen wir tun?“;

HVV 2009: „Thema Ökumene: Eiszeit unter den Christen?“.

Diese Vollversammlung stimmte uns auch ein auf den ÖKT 2010 in München (12.-16. Mai 2010). Ausdrücklich möchte ich dafür werben, nach München zu fahren, sich auf Gebet, Meditation, Gottesdienst, Gespräche und Begegnungen einzulassen, damit es ein Fest des Glaubens wird, der geerdet ist in unserem Leben mit seinen Problemen und Schattenseiten. Dann wird die Freude am Glauben sichtbar, der jeden Tag neu Grund unserer österlich Hoffnung ist.

Zum Schluss möchte ich es nicht versäumen, „Danke“ und „Vergelt´s Gott“ zu sagen Ihnen allen, die hier sind und allen Kolleginnen und Kollegen, die sich für heute entschuldigen mussten. Ihnen, Herr Bischof, Herr Weihbischof, Herr Generalvikar und besonders auch Ihnen, Herr Domkapitular Herderich danke ich für das erwiesene Vertrauen, die offene Atmosphäre bei unseren Begegnungen, die guten Weisungen und die treue Mitsorge, ihre geistliche Begleitung und aufbauenden Gottesdienste.

Ich bedanke mich bei unseren 4 Sachausschüssen und den eingerichteten Ad-hoc-Gruppen für ihre engagierte und äußerst kompetente Vor- und Mitarbeit im Hintergrund, für alle Impulse und Anregungen.

„Vergelt´s Gott“ sage ich den Mitgliedern der Vollversammlung für das gute Miteinander und die gute, konzentrierte und zielgerichtete Arbeit. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte wurden nicht unter den Teppich gekehrt, sondern sachgerecht und geschwisterlich ausgetragen, Verletzungen vermieden.

Danke auch dem Team der Geschäftsstelle mit dem Geschäftsführer an der Spitze. Mit Umsicht und Elan haben sie sich eingebracht, waren als Hauptamtliche den Ehrenamtlichen eine wertvolle und unverzichtbare Stütze, sind sammelnd, moderierend und anregend mit Ideen und Aufgaben umgegangen und haben so unverwechselbar zum Erfolg der Diözesanratsarbeit beigetragen .

Wie erfolgreich Diözesanratsarbeit sein kann, zeigte sich nicht zuletzt bei den PGR-Wahlen vor ein paar Wochen in unserem Bistum. Ohne ihren körperlichen – wie viel Kilo Papier haben sie wohl geschleppt – und ideellen Einsatz hätten wir das stolze Ergebnis mit über 33 % Wahlbeteiligung nicht einfahren können.

Natürlich will ich in meinen Dank auch die unzähligen Frauen und Männer in den Pfarrgemeinderäten, Dekanatsräten und in unseren Verbänden mit einbeziehen. Sie alle geben unserer Kirche viele Gesichter, hauchen ihr vielfältiges Leben ein und sind ein unbezahlbarer Schatz.

So viel Communio lässt mich nicht verzagen, begründet die feste Hoffnung, dass aus unserer Krise neue Chancen erwachsen, und dass hinter dem Dunkel eines jeden Karfreitags das Licht der Osterkerze leuchtet.