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„Es ist höchste Zeit, dass wir uns zusammentun!“

Interview mit Professor Dr. Francis X. D’Sa zum Dialog der Religionen und Kulturen – Verleihung der Ehrenpromotion der Universität Frankfurt/Main am 30. November – „Bisher haben die Religionen wie Öl und Wasser zusammengelebt“

Würzburg (POW) Der an der Universität Würzburg lehrende Missionswissenschaftler Professor Dr. Francis X. D’Sa gilt als Experte für den Dialog der Religionen. Am 30. November ehrt ihn die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt/Main mit der Ehrenpromotion. Einen Tag zuvor wird der indische Wissenschaftler und Jesuit 70 Jahre alt. In folgendem Interview spricht er über den noch ausstehenden Dialog der Religionen und Kulturen, über die Angst vieler Religionen, ihre Identität zu verlieren, und über eine Missionierung Asiens.

POW: Welche Bedeutung hat die Auszeichnung der Universität Frankfurt/Main für Sie?

Professor Dr. Francis X. D’Sa: Ich sehe die Verleihung der Ehrenpromotion vor allem als Anerkennung der Dringlichkeit der Problematik des Dialogs der Religionen und Kulturen. Bis jetzt hat man das nicht ernst genommen. Plötzlich merken wir aber, dass sich die Religionen nicht verständigen können. Wir müssen aufhören zu meinen, andere Religionen hätten sich nicht so fortentwickelt wie die christliche Religion. Uns muss deutlich werden, dass die andere Religion auch eine andere Religion ist, die anders denkt, anders erlebt, sich anders ausdrückt. Aus diesem Hintergrund heraus müssen wir den Dialog mit den Religionen führen.

POW: Ging man bisher falsche Wege im Dialog der Religionen?

D’Sa: Ich würde nicht von falschen, sondern von ungenügenden Wegen sprechen. Wir haben zu wenig auf die Sprache der Religionen geachtet. Auch wenn wir Englisch sprechen, sind die Metaphern der christlichen Religion anders als beispielsweise die Metaphern der hinduistischen Religion. Wir haben wenig auf die Unterschiede im Menschen- und Weltverständnis geachtet: Auch wenn Christen und Hindus sagen, wir glauben an Gott, meint Gott im Hinduismus etwas ganz anderes als im Christentum. Die Wege zu Gott sind anders. So gibt es zum Beispiel im Hinduismus keine Auferstehung, sondern die endgültige Befreiung. Auf Schritt und Tritt begegnen wir Unterschieden, die wesentlich sind. Diese dürfen wir nicht nivellieren. Die Religionen sind nicht gleich, aber sie haben den gleichen Ursprung und das gleiche Ziel: Sie kommen aus einem Geheimnis und gehen auf dieses Geheimnis zu – auch wenn wir dieses Geheimnis anders erleben und betrachten als andere Religionen.

POW: Wo liegen die großen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen?

D’Sa: Die große Gemeinsamkeit liegt darin, dass wir alle wissen: Das Leben ist nicht mit der Vernunft zu begründen. Die Menschen befinden sich schon immer in einem Geheimnis, das nicht zu begründen ist, sondern unsere Religion und unser Leben begründet. Das muss jede Religion annehmen.

POW: Welche gemeinsamen Antworten können die Religionen zu Grundfragen der Menschheit geben?

D’Sa: Das ist eine ganz wichtige Frage. Die Not und die Probleme unserer Zeit sind der Anfang des Dialogs – nicht die Doktrin. Wir brauchen Frieden und Entmilitarisierung, die Menschheit sorgt sich um die Zukunft der Schöpfung und um die Würde der menschlichen Person und vieles mehr. Das sind gemeinsame Probleme, bei denen wir uns zusammentun und sie gemeinsam lösen müssen – auch wenn wir manches unterschiedlich verstehen.

POW: Wie wichtig sind die Religionen bei der Lösung der globalen Probleme?

D’Sa: Ganz wichtig, weil sie die Sinnfrage lösen. Ohne Sinn kann niemand leben. Die Frage nach Sinn kann niemand den Religionen abnehmen. Jede religiöse Tradition bietet einen Weg an. Doch plötzlich merken wir: Unser Weg genügt nicht mehr, weil die Menschheit eine Familie ist. Als eine Familie singen wir verschiedene Melodien. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die verschiedenen Melodien zu einer Symphonie verbinden können.

POW: Welche Methode favorisieren Sie dabei?

D’Sa: Das römische Dokument „Dialog und Verkündigung“ hat exzellente Vorschläge gemacht. Zunächst geht es um den Dialog des Lebens. Im Zusammenleben müssen wir Vertrauen aufbauen und gemeinsam das Leben genießen. Daran schließt sich der Dialog des gemeinsamen Engagements an. Die Religionen haben gemeinsame Anliegen wie Frieden oder die Erhaltung der Schöpfung. Hier gilt es, gemeinsam zu handeln. Drittens gibt es den Dialog der Experten, der versucht, Missverständnisse zu klären. Am wichtigsten ist aber der Dialog des spirituellen Austausches. Wir tauschen nicht die Lehren aus, sondern unsere Erfahrungen. Dies ist immer berührend und umwandelnd. Wenn ich etwas Persönliches mitteile, berührt das den anderen.

POW: Sind die Religionen ursprünglich für den Dialog bestimmt oder doch mehr dafür, ihre eigenen Positionen zu vertreten?

D’SA: Bisher haben die Religionen wie Öl und Wasser zusammengelebt. Sie haben einander berührt, hatten aber keinen Kontakt miteinander. Jetzt zwingen uns die negativen Geschehnisse: Es ist höchste Zeit, dass wir uns zusammentun, um die negativen Seiten unserer Religion zu beseitigen und die positiven Seiten nicht nur hervorzuheben, sondern zu verstärken.

POW: Gilt es im Dialog der Religionen zwischen dem Dialog des Christentums mit den abrahamitischen Religionen und dem Dialog mit den asiatischen Religionen zu unterscheiden?

D’Sa: In Europa ist der Dialog mit dem Islam und dem Judentum aktuell. In Asien hat der Dialog mit dem Judentum keine große Bedeutung. Wichtig ist dort aber in vielen Ländern der Dialog mit dem Islam. In Indien steht der Dialog mit dem Hinduismus ganz oben, in anderen Ländern wie Sri Lanka der Dialog mit dem Buddhismus. Wir müssen je nach den Gegebenheiten vor Ort den Dialog führen.

POW: Verändert sich derzeit der Dialog der Religionen? Vor allem angesichts der Rede von Papst Benedikt XVI. in Regensburg?

D’Sa: Meine Ansicht ist folgende: Der Dialog der Religionen hat noch nicht begonnen. Wir sind uns in den vergangenen Jahren nicht näher gekommen. Jetzt haben wir alle Angst: Christen, Juden, Moslems und viele andere Religionen. Wir haben Angst, unsere Identität zu verlieren.

POW: War die Papstrede im Nachhinein hilfreich, um den Dialog anzustoßen?

D’Sa: Sie war wichtig. Man geht in den Religionen nicht nur mit Vernunft vor. In jeder Religion sieht die Welt anders aus. Die Vernunft des Christen ist beeinflusst von seinem Glauben, nicht umgekehrt. Deshalb ist die Glaubenswelt der Hindus anders als die Glaubenswelt der Christen oder der Muslime. Glaube ist immer der Bereich, der uns Sinn im Leben verleiht. Dies können wir sprachlich nie voll und ganz formulieren. Wir sind immer unterwegs zur Identifizierung unseres Glaubens.

POW: Wie drängend ist die Frage nach den Dialog der Religionen derzeit?

D’Sa: Wenn uns bewusst wird, dass wir am Scheideweg der Kulturen stehen, dann ist der Dialog überlebenswichtig. Wir sehen, wie kriegerisch Religionen heute geworden sind. Wollen wir Kriege aufgrund unserer Erfahrungen des 20. Jahrhunderts vermeiden, dann müssen die Religionen einschreiten und sagen: Religion hat vor allem mit Frieden und Gerechtigkeit zu tun. Alle unsere Versuche müssen in diese Richtung gehen.

POW: Welche Vorarbeit müsste hier die christliche Religion leisten?

D’Sa: Der Satz, den ich für mein Missionsverständnis formuliere, lautet: Die anderen so verstehen, wie sie sich verstehen, damit sie uns verstehen, wie wir uns verstehen. Wir müssen die Verschiedenheit aufrecht erhalten, gleichzeitig uns aber verständigen. Dies bedeutet nicht, den anderen zu nivellieren oder in Besitz zu nehmen, so dass seine Identität nur mit unseren Kategorien ausgedrückt wird. Dazu bedarf es Vertrautheit mit der religiösen Erfahrung der anderen Religion, nicht nur mit ihren religiösen Ausdrücken. Wir müssen in das Wohnzimmer der anderen Religion vordringen: Von dort aus sieht sie anders aus.

POW: Oft ist heute in der Kirche von der Missionierung Asiens die Rede. Wie sollte die Ausbreitung des Christentums in Asien aussehen?

D’Sa: Die Exegeten haben uns darauf hingewiesen, dass wir in Gefahr sind, Mission nur auf die Taufe zu reduzieren. Bei der Mission müssen wir alles lehren, was Christus uns gelehrt hat, und nicht nur taufen. Die römischen Dokumente sagen beispielsweise, eine der Aufgaben der Mission ist es, das Wirken des Geistes in den anderen Kulturen zu entdecken. Das ist sehr schön und heißt, der Geist Gottes wirkt überall. Sein Wirken hat nicht immer die Gestalt, die er im Christentum hat. Es bedarf der Hilfe des Geistes, um dies zu unterscheiden. Mission heißt etwas anderes als Missionieren: das Wirken und Wesen des Geistes in den Kulturen zu entdecken. Zusammen müssen wir dann einander helfen und den Weizen von der Spreu unterscheiden.

POW: Sind neue Ansätze in der asiatischen Theologie nötig?

D’Sa: Wir stehen erst am Anfang. Das Christentum kam sehr früh nach Indien und hat sehr wenig Eindruck auf die Mehrheit der Bevölkerung gemacht. Wir haben ein Credo gebracht, das mit Hilfe der Glaubenswelten der Juden, Griechen und Römer gebaut wurde. Das macht aber in der Glaubenswelt der Hindus keinen Sinn. Indische Theologie muss sich fragen: Wie kann Jesus in der Glaubenswelt der Hindus verständlich gemacht werden? Ein eigenes Credo für Asien ist nötig.

POW: Wie könnte dies aussehen?

D’Sa: Ich habe beispielsweise immer wieder betont, dass der Satz des Glaubensbekenntnisses, „geboren, gelitten, gestorben“ sehr wichtig in einem Weltbild ist, in dem Geschichte die zentrale Rolle spielt. Im Zentrum dieses Geschichtsverständnisses steht der Mensch. In der hinduistischen Glaubenswelt jedoch hat dieser Credosatz keine Heilsbedeutung. Hindus fragen: Was soll das? Der indische Theologe muss sich fragen: Wie kann ich die Heilsbedeutung von Leben und Lehre Jesu hervorheben und verständlich machen? Es gibt einen Ansatz: die Kenosis. Die hinduistische Tradition betont sehr das Loslassen vom eigenen Ich. Das finden wir bei Jesus. Er hat sich voll und ganz entäußert, damit ihn der Geist erfüllen konnte. Das würden die Hindus verstehen: Jesus hat sich völlig vom eigenen Ego entäußert, damit Gottes Geist ganz in ihm wirken konnte.

POW: Hat das Christentum Chancen, wenn es sich auf die Kultur Asiens einlässt?

D’Sa: Jede Wahrheit hat eine Chance, weil der Mensch die Wahrheit sucht. Doch begegnet uns die Wahrheit nie ganz rein. Sie begegnet uns jeweils in einem geschichtlich-kulturell bedingten Ausdruck, der in einer anderen Kultur keinen Sinn macht. Wir müssen lernen, die Bedeutsamkeit Jesu in eine andere Kultur zu übersetzen.

POW: Sie sind 70 Jahre alt und jetzt Ehrendoktor der Universität Frankfurt. Was ist Ihnen persönlich in den kommenden Jahren wichtig?

D’Sa: Vor zehn Jahren habe ich ein großes interreligiöses Frauenprojekt in Indien gegründet. Frauen in Gefahren werden aufgenommen, Kinder betreut, und es wird auch Einfluss auf die Dorfentwicklung genommen. Wir haben einen Weg gefunden, interreligiös für Gerechtigkeit zu sorgen. Darin sehe ich meine künftige Aufgabe, wenn ich wieder nach Indien zurückkehre.

POW: Was erhoffen sie sich für den Dialog der Religionen in den kommenden Jahren?

D’Sa: Wir müssen jetzt Kleinarbeit zur Verständigung im Dialog der Kulturen leisten. Mit diesen „kleinen Steinen“ bauen wir Brücken zwischen den Kulturen. Dabei können wir nicht mehr pauschal reden, sondern müssen die Einzelheiten des anderen kennen lernen. Wichtig ist, dass die Spiritualität dabei nicht zu kurz kommt. Eine Theologie ohne Spiritualität ist eine Theologie ohne Leben, und eine Spiritualität ohne Theologie ist blind. Wir brauchen beides.

POW: Sind Sie eher optimistisch?

D’Sa: Ich bin sehr optimistisch. Die Geschichte der Menschheit wird vom Geist Gottes geleitet. Wir müssen Augen entwickeln, um dieses Wirken zu sehen.

(4806/1700; E-Mail voraus)

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