Vor kurzem an der Kasse eines Zeitschriftenladens: Ein gewaltiges Stück Fleisch, pures Protein, strotzt dem Betrachter vom Titelbild eines Hochglanzmagazins entgegen. „BEEF! – für Männer mit Geschmack“ prangt lüstern ein Slogan auf dem Magazin eines großen Hamburger Verlags. Sechs Mal im Jahr gibt dieser den Grillmeistern unter den Männern Tipps zu „Spezialwissen“ rund ums Thema Fleisch. Das Stück Rindfleisch, ein „dry aged Rib eye Steak“ (viele Wochen abgehangenes Steak) zum Preis von 60 Euro/Kilo. Es geht aber noch teurer, je nach Güte und Trockenzustand bis zu 100 Euro und mehr. Ein Durchschnittsesser stellt sich die Frage: Was soll das? Wie weit sind wir gekommen, dass für uns nur noch das Beste des Besten gut genug ist? Während weltweit nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation fast eine Milliarde Menschen unterernährt sind. Wer soll diesen Trend zu immer mehr Luxus – er zieht sich durch alle Branchen – stoppen, wenn wir es nicht sind, die Verbraucher? Wir aber machen blindlings mit bei dem verführerischen Spiel der Lebensmitteleinzelhändler, und merken gar nicht, dass wir uns immer mehr aus der einst gepriesenen Solidargemeinschaft verabschieden. Wir fühlen uns gar geehrt, in luxuriösen Einkaufstempeln zu flanieren. Krumme Salatgurken lehnen wir ab, und lassen zu, dass sie vernichtet werden. Gleichzeitig aber akzeptieren wir raffiniert ausgeleuchtete Obsttheken, in der geschmacklose Tomaten zum überhöhten Preis von 3,99 Euro/Kilo angeboten werden.
Szenenwechsel: Der Deutsche Bauernverband schlägt Alarm und bezeichnet die Lage seiner Landwirte als „dramatisch“. Immer weniger erhalten die Bauern für ihre Produkte bezahlt – oft ist es ein Nullsummenspiel. Die Lebensmittelindustrie/-handel quetscht sie wie Zitronen aus. Ein Drittel der Betriebe steht vor dem Aus. Und auch hier sind wir mit im Spiel. Wir aber frönen weiter der Lust nach Luxus, bei gleichzeitiger Jagd nach Schnäppchen – auf Kosten der Grundernährer. Gleichmaß im Leben, das ist es, was uns abhanden gekommen ist.
Matthias Risser

