Würzburg (POW) „Blick zurück nach vorn“ heißt es beim Diözesantag am Samstag, 25. November, in der Universität Würzburg. Die Veranstaltung mit rund 300 Gästen aus dem ganzen Bistum Würzburg erinnert an den Abschluss des Pastoralen Dialogs „Wir sind Kirche – Wege suchen im Gespräch“ vor zehn Jahren. Das Wegesuchen ging beim Diözesantag „Weg-Kreuzung“ am 23. November 1996 über in ein Wegegehen. Bischof Dr. Paul-Werner Scheele stellte damals nach einer fast vierjährigen Gesprächsphase die Orientierungshilfen „Unser Weg“ für die künftige Seelsorge vor. Insgesamt hatten sich von 1993 bis 1996 über 30.000 Menschen im Bistum Würzburg an diesem einmaligen Seelsorgeprojekt beteiligt und im Gespräch Wege für die Erneuerung der Seelsorge, für die Weitergabe des Glaubens und für das soziale und gesellschaftliche Engagement der Christen in der Welt von heute gesucht.
Die „Orientierungshilfen“ bildeten gemeinsam mit den 23 Beschlusstexten, die der Diözesanpastoralrat aus den Eingaben von Dekanaten, Pfarreien, Gruppen und Einzelpersonen erarbeitet hatte, die Grundlage zur Umsetzung der Ergebnisse vor Ort. Bischof Scheele ging es bei aller Konkretion von Aufgaben und Herausforderungen damals nicht darum, möglichst viele Einzelaktivitäten aufzuzählen oder gar verbindlich vorzuschreiben. Mit Bedacht wählte er den Titel „Orientierungshilfen“ und nicht „Pastoralplan“. Er verzichtete darauf, „verpflichtende einheitliche Modelle für das gesamte Bistum herauszustellen und Festlegungen wahrzunehmen“. Die Gemeinschaft sollte nicht im Gleichschritt marschieren, sondern innerhalb der „Wegmarkierungen“ im lebendigen Austausch untereinander neue Initiativen entwickeln und neue Möglichkeiten erkennen, wie der Auftrag Jesu Christi unter heutigen Bedingungen zu erfüllen sei.
Den Startschuss für den Pastoralen Dialog gab Bischof Scheele mit seinem Hirtenwort zum ersten Fastensonntag am 28. Februar 1993. Zuvor hatten der Allgemeine Geistliche Rat der Diözese, die Dekanekonferenz, der Diözesanpastoralrat und der Diözesanrat deutlich gemacht, dass nach der Erstellung eines Personalplans für die Diözese ein Gesamtpastoralplan dringend erforderlich sei. Zum Motto wählte man bei der Vollversammlung des Diözesanrats im Herbst 1992 in Aschaffenburg den Slogan: „Wir sind Kirche – Wege suchen im Gespräch“. Bischof Scheele lud in seinem Hirtenwort alle Gläubigen zur Mitarbeit ein. Es galt, wie es der „Motor“ des Projekts, Prälat Wilhelm Heinz, immer wieder betonte, zu sehen, zu urteilen und dann zu handeln. Die erste Phase des Gesprächs auf allen Ebenen begann ohne inhaltliche Vorgaben: Jeder konnte nennen, was ihm in der Kirche auf den Nägeln brannte. Arbeitshilfen des Seelsorgeamts unterstützten die Gespräche.
In 340 Pfarreien und Seelsorgestelle, 89 Gruppen, Verbänden und Gemeinschaften sowie in 18 Dekanatsräten und -teams beteiligten sich Menschen an den Diskussionen vor Ort und schickten ihre Stellungnahmen nach Würzburg. Die Fragen reichten von der Jugend- und Familienarbeit über die Sakramente bis hin zur Gemeindeleitung. „Heiße Eisen“ wie die Fragen des kirchlichen Umgangs mit Wiederverheirateten Geschiedenen, Sexualmoral, Priesterzölibat und Frauen in der Kirche wurden nicht ausgespart und sorgten für intensive Diskussionen. Die Priesterweihe für bewährte verheiratete Männer war ebenso Thema wie die Zulassung von Frauen zum Diakonat. Die Jugend unterstützte den Prozess mit ihrer eigenen Aktion „Unternehmen Reißverschluss“ und forderte beispielsweise die Ausweitung demokratischer Mitwirkungsrechte und die volle Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche.
Im Gesamtprozess bildeten sich nach den Diskussionen vor Ort die wichtigsten Fragen heraus: Was wird aus Gemeinden ohne eigenen Pfarrer am Ort? Hat der Zölibat noch Sinn? Wie kann die Kirche die Jugend und junge Familien ansprechen? Welche Spielräume gibt es bei der Gottesdienstgestaltung? Für den Diözesanpastoralrat war Schwerstarbeit angesagt. Das Beratungsgremium des Bischofs musste die Eingaben thematisch ordnen, durcharbeiten und diskutieren. Schließlich erstellte es 24 Vorlagen, die zur erneuten Diskussion in die Gemeinden zurückgegeben wurden. Über 30.000 Exemplare der Textvorlagen versandten Koordinator Pastoralreferent Rainer Ziegler und die Mitarbeiter des Seelsorgeamts Anfang 1995 an die Gemeinden.
Zurück kamen 779 Stellungnahmen, die die gebündelte Meinung von rund 10.000 Gläubigen widerspiegelten. Im Diözesanpastoralrat wurden die Änderungswünsche diskutiert und in die Vorlagen eingearbeitet. Danach erhielt Bischof Scheele die insgesamt 23 Beschlusstexte und sieben Voten des zweiten Diözesanjugendforums als Grundlage für seinen Pastoralplan. In nächtelanger Arbeit schrieb Bischof Scheele schließlich die Orientierungshilfen „Unser Weg“, die er dann zum Diözesantag „Weg-Kreuzung“ im November 1996 präsentierte. „Das Konzept des Bischofs bildet den Rahmen und weist die Richtung, die Beschlüsse des Diözesan-Pastoralrats konkretisieren den Weg“, beschrieb Koordinator Rainer Ziegler damals den Zusammenhang der Papiere.
In einer wissenschaftlichen Bewertung des Würzburger Dialogprojekts aus dem Jahr 2005 schreibt der Augsburger Pastoraltheologe Hanspeter Heinz: „Der Pastorale Dialog hat zur Konsolidierung der diözesanen Planung angesichts der rückläufigen Priesterzahl und in vielen pastoralen Feldern auch zu einem breiten Konsens beigetragen. Der Diözesanpastoralrat hat sich durch den Prozess profiliert und an Bedeutung für das Bistum gewonnen. Die Teilnehmenden werteten den Dialogprozess als persönlichen Gewinn.“ Zu den Beschlüssen urteilt der Pastoraltheologe, sie seien ausgewogen, aber meist recht allgemein gehalten: „Prekäre Fragen wie die Pastoral der Wiederverheirateten Geschiedenen oder die Bedeutung der Sexualität in der kirchlichen Jugendarbeit wurden zwar offen diskutiert, aber es wurde kein schriftliches Ergebnis fixiert.“
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