In diesen Tagen feiern Jüdinnen und Juden Chanukka: Das jüdische Fest des Lichts. Wir erinnern an ein Wunder, das gegen jede Erwartung Hoffnung schenkte: Ein kleiner Krug geweihtes Öl, gedacht für einen Tag, brannte im Tempel von Jerusalem acht Tage lang. Dieses Bild lehrt uns, dass Zuversicht möglich bleibt, obwohl die Wirklichkeit dagegen zu sprechen scheint.
In diesem Jahr denken viele an ein anderes, sehr weltliches „Wunder“ im Heiligen Land: Nach zwei Jahren Krieg, Terror und Angst sind keine lebenden israelischen Geiseln mehr im Gazastreifen. Sie wurden im Rahmen einer von den USA vermittelten Waffenruhe freigelassen. Für die Familien in Israel ist das nicht immer ein Happy End. Manche trauern um Angehörige, die die Geiselhaft nicht überlebten. Aber der Moment, in dem die letzten Überlebenden wieder nach Hause kamen, hat gezeigt, wie sehr ein ganzes Land nach einem Funken Hoffnung dürstete.
Auch in Deutschland hinterlässt dieser Krieg Spuren. Antisemitische Vorfälle haben sich seit Beginn der Hamas-Angriffe deutlich erhöht: 2024 wurde ein Höchststand antisemitischer Straftaten gemeldet. Für viele Jüdinnen und Juden fühlt sich der Alltag wieder unsicherer an. Nicht weil sie etwas anders machen würden, sondern wegen der Feindseligkeit, die ihnen entgegenschlägt. Dabei sind antisemitische Delikte und extremistische Straftaten zentrale Bedrohung gegen unsere gesamte Demokratie, und nicht nur gefährlich für uns Juden.
Chanukka fällt in eine Zeit, die zugleich besinnlich und angespannt ist. Besinnung darf aber nicht mit Rückzug verwechselt werden. Als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes tragen wir Verantwortung dafür, dass Hassparolen nicht zur Normalität werden, dass jüdische Einrichtungen geschützt und jüdische Stimmen gehört werden. Zivilcourage beginnt oft leise: im Widerspruch am Stammtisch, im Einspruch in den sozialen Medien, in der Entscheidung, einem dummen Spruch nicht schweigend zuzusehen.
Das Licht von Chanukka verbreitet sich nicht durch eine große Flamme, die alles erhellt. Es wächst acht Tage lang, Kerze für Kerze; so, wie die demokratische Kultur aus vielen einzelnen Stimmen entsteht. Möge diese Zeit jedem von uns die Kraft geben, selbst zu einem solchen Licht zu werden: für unsere Nachbarn, unsere Städte, unser Land. Dann bleibt vom Wunder von Chanukka mehr als nur eine schöne Geschichte, nämlich der Auftrag, Hoffnung zu teilen.
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden

