Das Ziel des britischen Forscherteams ist es, Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit zu verhindern.
Das ist doch ein ehrenwertes Anliegen. Das ist ein gutes Ziel. Zur moralischen Bewertung von Forschungsprojekten müssen allerdings auch die Methode und die Folgen verantwortet werden können.
Und da sehen Sie Probleme.
In diesem Fall ist das Mittel das Problem. Ein menschlicher Embryo, der einen vollen Schutzanspruch hat, wird für ein Ziel instrumentalisiert, das ihm selbst nicht zugute kommt. Das ist mit der Menschenwürde unvereinbar. Jeder Mensch hat das Recht, als Zweck an sich selbst betrachtet zu werden. Das ist der entscheidende moralische Einwand, der auch dann noch gilt, wenn das Ziel selbst hochrangig ist.
Die Embryonen sind allerdings ohnehin vorhanden, da sie bei einer künstlichen Befruchtung überzählig waren.
Das ist in der Tat ein großes Problem. Denn diese Situation ergibt sich durch eine moralische Grenzüberschreitung in der Vergangenheit. Bei der Regelung der künstlichen Befruchtung hat man in Kauf genommen, dass in großer Zahl überzählige Embryonen entstehen. In England gibt es keine Vorschrift, die das bremst. So liefern künstliche Befruchtungen Nachschub für andere Forschungsbereiche.
Die Embryonen sollen nach einer Woche zerstört werden. Handelt es sich bei diesen Zellen wirklich schon um einen Menschen?
Selbstverständlich. Wir alle haben einen Anfang. Dass dieser Anfang quantitativ gering ist, ist der natürliche Verlauf eines jeden Menschen. Sie können die Gegenprobe machen: Wenn Sie nicht weiter eingreifen, entwickelt sich der Embryo als Mensch – auch ganz anschaulich. Träger der Menschenwürde ist nicht ein Zellsystem, sondern der Mensch in jeder Phase seiner Existenz – der jeweilige Zeitabschnitt ist dabei unerheblich.
Aber längst nicht jede befruchtete Eizelle überlebt unter natürlichen Umständen. Gerade in diesem sehr frühen Stadium ist das keineswegs garantiert. Ist das nicht ein Hinweis, der die Experimente – begrenzt auf die erste Woche – rechtfertigt?
Das wäre ein naturalistischer Fehlschluss. Die Natur ist nicht rechenschaftspflichtig. In ihr kommen auch Katastrophen vor, Erdbeben zum Beispiel, die der Mensch durch sein verantwortliches Handeln nicht imitieren darf. Und selbst wenn wir eine Verlustquote unterstellen, haben wir noch immer kein Recht, dem Embryo diese Entwicklungschance zu nehmen. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einem Lottospiel teil und haben eine Gewinnchance von 40 Prozent. Würden Sie akzeptieren, dass Sie aufgrund dieser Chance sofort ausgeschlossen würden? Das ist ein klarer Verstoß gegen Gerechtigkeitsprinzipien. Das Argument ist überhaupt nicht tragfähig.
Hat Sie die Entscheidung in Großbritannien überrascht?
In der Forschungslandschaft sind solche Grenzüberschreitungen mittlerweile gang und gäbe. Am Anfang gelten sie als Dammbruch und geraten dann schnell in Vergessenheit. Die gezielte Grenzüberschreitung hat inzwischen Methode.
Sie sind Mitglied des Deutschen Ethikrates. Wären ähnliche Versuche auch in Deutschland möglich? Wie realistisch ist es überhaupt, dass Verfahren wie diese in einer globalisierten Welt verboten bleiben?
Das Embryonenschutzgesetz ließe ähnliches in Deutschland nicht zu und im Augenblick sehe ich, etwa im Ethikrat, auch keine Mehrheit für solch ein Verfahren. Richtig ist allerdings, dass Wissenschaftler international zusammenarbeiten. Dann wird sich uns die Frage stellen: Dürfen wir Forschungsergebnisse verwenden, die mittels dieses Verfahrens in England erreicht wurden? Betreiben wir dann Doppelmoral? Außerdem ist keineswegs sicher, dass in Großbritannien die Grenze eingehalten wird, die Genmanipulation nur zur Forschung anzuwenden. Wenn man das Verfahren gut beherrscht, wird man fragen: Wieso sollen wir diese Technik nicht dazu benützen, Gendefekte, die Ursachen für Krankheiten sind, aus dem Genpool der Menschheit auszumerzen?
Das wäre dann der Weg zum so genannten „Designerbaby“?
Zunächst wird es nur um die Beseitigung von Krankheitsmerkmalen gehen. Das „Designerbaby“ wäre noch ein nächster Schritt. Davon könnte man sprechen, wenn Wissenschaftler die menschliche Natur optimieren und gewünschte Merkmale kombinieren. Aber: Wer hat eigentlich in einer demokratischen Gesellschaft das Recht zu definieren, was optimales Menschsein ist? Welche Eigenschaften qualifizieren einen besseren Menschen? Diese Frage ist vom Ansatz her totalitär.
Sie sind Theologe – aber Sie haben bisher nicht von Gott geredet.
Moralische Argumente sind aus sich heraus gültig. Sonst könnten Nicht-Gläubige moralische Forderungen nicht verstehen – und müssten sie auch nicht befolgen. Das Besondere der christlichen Ethik liegt nicht im Inhalt eines moralischen Gebots, sondern in der Frage: Woher kommt die Kraft, diesen Inhalt zu befolgen? Christlich gesprochen sagen wir, dass jeder Mensch auf das Bild Gottes hin geschaffen ist. Aus der Perspektive des Glaubens ist das eine zusätzliche Begründung. Die erste aber ist davon unabhängig: Dass dem Menschen eine Würde zukommt, die zu schützen ist, erkennt der Mensch durch seine praktische Vernunft – nicht durch den Glauben.
Die anglikanische Kirche in England steht der Erlaubnis keineswegs negativ gegenüber. Muss man also doch katholisch sein, um gegen Experimente mit Embryonen zu sein?
Nein. Man muss nur die Kraft moralischer Argumente verstehen können. Dass Embryonen Schutz genießen, ist in Deutschland ja auch Standpunkt des Gesetzes. Diese Position ist vernünftig begründet und jedem zugänglich. Sie lässt sich mit einer Frage verdeutlichen: Wann begann meine eigene Existenz? Die Befruchtung ist das biologische Ereignis, bis zu dem ich mein eigenes Leben zurückverfolgen kann. Wenn ich dankbar bin, dass mein Leben in diesem Anfangsstadium einmal geschützt worden ist, muss ich das auch jedem anderen zubilligen.
Interview: Lukas Wiesenhütter
